Sachverhalt:
Der 1981 geborene Kläger bezog wegen eines Down-Syndroms aus der privaten Pflegeversicherung, in der er durch seinen beamteten Vater versichert war, Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Mit der Aufnahme einer Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte wurde er pflichtversichert in der sozialen Pflegeversicherung. Die beklagte Pflegekasse lehnte aber die Weitergewährung von Pflegegeld ab, nachdem der MDK einen Hilfebedarf von nur 28 Minuten täglich festgestellt hatte.
Das SG hat nach Einholung eines Gutachtens die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren, in dem sich der Kläger wegen des unveränderten Gesundheitszustands nur noch auf Vertrauensschutz berufen hatte, blieb er ebenfalls ohne Erfolg. Das LSG verneinte eine Bindung der Beklagten an die Leistungszusage des privaten Versicherungsunternehmens.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg. Das LSG hat zu Recht eine Bindung der Pflegekasse an die Leistungszusage eines privaten Pflegeversicherungsunternehmens verneint. Eine solche Bindung müsste vom Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet werden. Daran fehlt es. Verfassungsrechtlich ist das nicht zu beanstanden.
SG Stuttgart - S 4 P 2438/00 -
LSG Baden-Württemberg - L 4 P 4029/01 - - B 3 P 3/03 R -
Gründe:
I
Der 1981 geborene Kläger leidet an einem Down-Syndrom. Während
seiner Schulausbildung war er in die bei der Postbeamtenkrankenkasse (PBeaKK) bestehende
private Kranken- und Pflegeversicherung seines als Beamter tätigen Vaters einbezogen.
Seit dem 1. April 1995 bezog dieser für seinen Sohn auf Grund einer Leistungszusage
der PBeaKK vom 9. Juni 1995 anteiliges Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Am 13. September
1999 nahm der Kläger eine Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte auf,
wodurch eine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) begründet
wurde. Seitdem ist er bei der AOK Baden-Württemberg krankenversichert und bei der
dortigen Pflegekasse, der Beklagten, pflegeversichert. Die PBeaKK stellte die Zahlung des
Pflegegeldes mit Wirkung ab 13. September 1999 ein.
Im Hinblick auf den Wechsel in die GKV beantragte der Kläger am 29. September 1999
bei der Beklagten die Weitergewährung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Die Beklagte
lehnte dies ab, weil das von ihr eingeholte Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
(MDK) vom 7. Dezember 1999 einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von lediglich 28
Minuten täglich ergab (Bescheid vom 10. Dezember 1999). Im Widerspruchsverfahren wandte
der Kläger ein, sein Pflegebedarf sei seit Jahren unverändert; dieser betrage
im Bereich der Grundpflege nach wie vor mehr als 45 Minuten täglich. Er berief sich
zudem auf einen Bestandsschutz. Die PBeaKK habe seinem Vater in einem Schreiben vom 6.
Oktober 1997 zu einem damals gestellten Höherstufungsantrag mitgeteilt, dass nach
dem Ergebnis der durchgeführten Untersuchung die bisherige Pflegestufe I und die entsprechende
Leistungszusage weiterhin gültig seien. Ferner habe der MDK in dem Gutachten vom 26.
November 1999 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Pflegesituation in den
letzten Jahren nicht verändert habe. Deshalb seien die Voraussetzungen für einen
"Leistungsentzug" nach den §§ 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB X), die jedenfalls sinngemäß auch bei einem Wechsel von der privaten in
die soziale Pflegeversicherung zu beachten seien, nicht erfüllt. Die Beklagte wies
nach Einholung weiterer Stellungnahmen des MDK vom 15. Januar und 1. Februar 2000 den Widerspruch
zurück (Widerspruchsbescheid vom 27. März 2000), weil der tägliche Grundpflegebedarf
nicht den Umfang von "mehr als 45 Minuten" erreiche und Bestandsschutz bei einem
Wechsel des Versicherungsverhältnisses ausscheide.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen (Urteil vom 16. Juli
2001). Der Hilfebedarf des Klägers erreiche nicht den Mindesthilfebedarf der Pflegestufe
I. An die von der PBeaKK festgestellte Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe I und
deren privatrechtliche Leistungszusage sei die Beklagte nicht gebunden.
Im Berufungsverfahren hat sich der Kläger nur noch auf Vertrauensschutz berufen. Die
Änderung oder Aufhebung einer Leistungszusage komme bei unverändertem Gesundheitszustand
mangels wesentlicher Änderung der Verhältnisse nicht in Betracht, auch wenn ein
späteres Gutachten den Umfang des Pflegebedarfs niedriger festlege, als für die
Pflegestufe I erforderlich sei. Dies müsse auch bei einem Wechsel des Versicherungsverhältnisses
gelten. Da die Leistungszusage auch nicht offensichtlich unrichtig gewesen sei, bestehe
ein Vertrauensschutztatbestand, der von der Beklagten berücksichtigt werden müsse.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Beschluss
vom 31. März 2003). Der Grundpflegebedarf des Klägers belaufe sich, wie vom Kläger
auch nicht mehr bestritten, auf weniger als 45 Minuten täglich (sog Pflegestufe 0).
Die Beklagte sei an die Leistungszusage der PBeaKK nicht gebunden, weil es an einer die
Bindungswirkung anordnenden Norm fehle.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§
37 und 110 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) sowie der Grundsätze des sozialversicherungsrechtlichen
Vertrauensschutzes.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 31. März 2003 und das Urteil des SG Stuttgart vom 16. Juli 2001 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab 29. September 1999 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung des LSG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach
den §§ 165, 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Vorinstanzen
haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 1999 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2000 verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht Pflegegeld nach der Pflegestufe I nicht
zu.
1) Der Kläger erfüllt nicht die für die Einstufung als "erheblich Pflegebedürftiger"
(Pflegestufe I) erforderlichen Voraussetzungen der §§ 14, 15 SGB XI, weil nach
den von ihm seit dem zweiten Rechtszug nicht mehr bestrittenen, für den Senat bindenden
Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) sein Bedarf an Hilfe im Bereich der Grundpflege
unterhalb der Grenze der Pflegestufe I von "mehr als 45 Minuten täglich"
liegt. Ein Anspruch auf Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I gemäß
§ 37 Abs 1 SGB XI scheidet daher wegen der fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
aus.
2) Ein Leistungsanspruch nach § 37 Abs 1 SGB XI steht dem Kläger auch nicht unter
dem Aspekt des Bestands- oder Vertrauensschutzes zu. Zutreffend haben die Vorinstanzen
ausgeführt, der Kläger könne von der Beklagten Pflegegeld nicht allein schon
deshalb beanspruchen, weil sein Vater vorher durch die PBeaKK, also eine die private Pflegeversicherung
durchführende Anstalt des öffentlichen Rechts (vgl § 23 Abs 4 Nr 2 SGB XI),
die insoweit einem privaten Versicherungsunternehmen gleichsteht, entsprechende Leistungen
für ihn bezogen hat.
Beim Bezug von existentiell bedeutsamen Dauerleistungen hat der Gesetzgeber vielfach Regelungen
getroffen, die dem Vertrauensschutz in Fällen dienen, in denen durch rechtliche oder
tatsächliche Veränderungen die Leistungsberechtigung betroffen ist. Für
den vorliegenden Sachverhalt finden sich solche Regelungen allerdings nicht.
Nach § 33 Abs 1 SGB XI erhalten Versicherte Leistungen der sozialen Pflegeversicherung
auf Antrag. Dabei haben die Pflegekassen durch den MDK prüfen zu lassen, ob die Voraussetzungen
der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welche Stufe der Pflegebedürftigkeit
vorliegt (§ 18 Abs 1 SGB XI iVm §§ 14, 15 SGB XI). Eine Regelung, wonach
diese Prüfung dann entbehrlich ist, wenn der Versicherte vor dem Versicherungswechsel
von einem privaten Versicherungsunternehmen als pflegebedürftig anerkannt worden ist
und Pflegegeld bezogen hat, enthalten die Vorschriften des SGB XI nicht. Ferner hat der
Gesetzgeber keine Regelung getroffen, dass eine Pflegekasse unabhängig von den durch
den MDK erhobenen aktuellen medizinisch-pflegerischen Feststellungen an eine zuvor von
einem privaten Versicherungsunternehmen im Rahmen eines privatrechtlichen Pflegeversicherungsverhältnisses
nach den §§ 178b ff Versicherungsvertragsgesetz (VVG) abgegebene Leistungszusage
gebunden ist. Eine dem Art 45 Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeVG) vergleichbare Regelung,
wonach ein Versicherter im Falle des Bezugs krankenversicherungsrechtlicher Leistungen
wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 ff Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB V) aF bis zum 31. März 1995 ohne Antragstellung und ohne Prüfung der Voraussetzungen
der Pflegebedürftigkeit (§§ 14, 15 SGB XI) zum 1. April 1995 automatisch
in die Pflegestufe II eingestuft wurde, hat der Gesetzgeber für den Fall des Versicherungswechsels
nach dem 1. April 1995 nicht geschaffen. Dies gilt für einen Wechsel des Versicherungsunternehmens
in der privaten Pflegeversicherung und für einen Wechsel der Pflegekasse in der sozialen
Pflegeversicherung gleichermaßen. Ebenso gilt dies für einen Wechsel von der
privaten in die soziale Pflegeversicherung und auch für den umgekehrten Fall. Lediglich
für den Fall eines misslungenen oder nur kurzfristigen Wechsels von der privaten in
die soziale Pflegeversicherung hat der Gesetzgeber durch § 27 Satz 3 SGB XI iVm §
5 Abs 10 SGB V gewisse Schutzvorschriften für eine Rückkehr zur privaten Versicherung
erlassen.
Die Leistungszusage des Versicherungsunternehmens gilt im Übrigen nur für die
Dauer des privatrechtlichen Versicherungsverhältnisses, das hier mit Ablauf des 12.
September 1999 endete (§ 178h VVG iVm § 20 Abs 1 Satz 1 Nr 7 SGB XI und §
27 SGB XI sowie § 186 Abs 6 SGB V). Das folgt aus dem zivilrechtlichen Grundsatz,
wonach aus einem Vertrag nur die Vertragspartner verpflichtet werden (§ 241 Bürgerliches
Gesetzbuch <BGB>); allenfalls im Wege der Rechtsnachfolge gehen die Rechte und Pflichten
auf Dritte über. Auch bei einem Wechsel von einer Pflegekasse zu einer anderen Pflegekasse,
wie er im Bereich der sozialen Pflegeversicherung möglich ist, gibt es keinen Bestandsschutz
auf Grund einer von der ersten Pflegekasse getroffenen Bewilligungsentscheidung nach den
§§ 36 ff SGB XI. Die Bindungswirkung gilt grundsätzlich nur innerhalb eines
konkreten Sozialversicherungs- bzw Sozialleistungsverhältnisses, nicht aber darüber
hinaus (§ 39 SGB X). Die §§ 45 ff SGB X, die nur unter speziellen Voraussetzungen
die Rücknahme (§ 45 SGB X) oder die nachträgliche Änderung (§
48 SGB X) begünstigender Verwaltungsakte gestatten und im Übrigen unter Vertrauensschutzgesichtspunkten
weitgehend Bestandsschutz gewähren, gelten nur im Verhältnis zwischen dem Versicherten
und der die Bewilligungsentscheidung (Verwaltungsakt) erlassenden Verwaltungsbehörde
bzw deren Rechtsnachfolger (zB bei der Fusion von zwei Krankenkassen) oder Funktionsnachfolger
(zB bei Aufgabenverlagerung von einer Behörde zur anderen, vgl Meyer-Ladewig, SGG,
7. Aufl 2002, § 94 RdNr 10), nicht aber im Verhältnis des Versicherten zu einem
- zB nach Kassenwechsel zuständig gewordenen - anderen Versicherungsträger, soweit
in besonderen gesetzlichen Regelungen keine Bindungswirkung angeordnet worden ist. Das
ist hier - anders als etwa im Bereich der Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz
<SVG> (vgl § 88 Abs 3 SVG; dazu BSG, Urteil vom 25. März 2004 - B 9 VS
2/01 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen) - nicht der Fall.
Deswegen kann der Kläger auch aus dem gesetzlichen Gebot gleichwertigen Versicherungsschutzes
in der privaten Pflegeversicherung (§ 23 Abs 1 Satz 2 SGB XI) nichts herleiten. Soweit
der Kläger seine Rechtsauffassung zum Bestandsschutz damit begründet, dass nach
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein privates Versicherungsunternehmen
bei unverändertem Gesundheits- und Pflegezustand an eine einmal erteilte Leistungszusage
gebunden ist und eine Entziehung bzw Herabsetzung der Leistung nur bei einer wesentlichen
Änderung der Verhältnisse in Frage kommt, ist darauf hinzuweisen, dass in dem
vom BSG entschiedenen Verfahren gerade kein Wechsel der Versicherung stattgefunden hat
(BSGE 88, 262 = SozR 3-3300 § 23 Nr 5).
3) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vorstehende Rechtslage sind nicht begründet.
Insbesondere ist ein Verstoß gegen den grundgesetzlichen Eigentumsschutz (Art 14
Grundgesetz <GG>) oder das Rechtsstaatsprinzip (Art 20 GG) nicht ersichtlich. Eigentumsschutz
kann schon deshalb nicht bestehen, weil ein Leistungsanspruch materiell nicht begründet
war. Ein Vertrauensschutz im Hinblick auf Bewilligungsbescheide oder Leistungszusagen,
deren Voraussetzungen niemals vorgelegen haben oder deren Voraussetzungen später weggefallen
sind, kann zwar aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sein (vgl BSGE 72, 271,
276 ff = SozR 3-2500 § 106 Nr 19). Die Lösung des Konflikts zwischen Rechtssicherheit
und materieller Gerechtigkeit ist aber in erster Linie dem einfachen Gesetzgeber übertragen
(BVerfGE 3, 225, 237 ff; Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl 2004, Art 20 RdNr 77). Dieser hat
dazu sowohl auf sozialrechtlichem als auch auf zivilrechtlichem Gebiet weit gehende Regelungen
erlassen, wie oben ausgeführt. Von Verfassungs wegen ist darüber hinaus der Schutz
des Vertrauens auf Beibehaltung einer materiell nicht zustehenden Leistung, obwohl sich
mit der Aufnahme einer Beschäftigung in einer Behindertenwerkstatt die Lebensumstände
generell verändert haben, nicht geboten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.