Gemeinsames Rundschreiben vom 01.12.2021 zu den leistungsrechtlichen Vorschriften - Stand 01.12.2021

Leistungsvoraussetzungen / § 33 SGB XI

1. Antragstellung

(1) Die Leistungsgewährung der Pflegekasse ist von einer Antragstellung abhängig (§ 19 Satz 1 SGB IV). Antragsberechtigt ist der Versicherte bzw. ein von ihm Bevollmächtigter, sein Betreuer oder gesetzlicher Vertreter, in den Fällen der §§ 44 und 45 i. V. m. § 19 SGB XI die Pflegeperson, in den Fällen des § 44a SGB XI der Beschäftigte im Sinne von § 3 i.V.m. § 7 Pflegezeitgesetz. Als Antrag gilt auch die der Pflegekasse mit Einwilligung des Versicherten zugehende Information von Dritten nach § 7 Abs. 2 SGB XI (vgl. § 20 SGB X), sofern der Versicherte später nichts Gegenteiliges erklärt.

(2) Das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen hat der Versicherte nicht durch eine ärztliche Bescheinigung nachzuweisen; diese werden im Rahmen der generell zu veranlassenden Prüfung durch den MD oder den von der Pflegekasse beauftragten Gutachter (§ 18 SGB XI) festgestellt.

2. Leistungsbeginn

2.1 Erstantrag auf Leistungen der Pflegeversicherung

(1) Versicherte erhalten die Leistungen der Pflegeversicherung auf Antrag. Die Leistungen werden ab Antragstellung gewährt, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, ab dem die An-spruchsvoraussetzungen vorliegen. Ist die Pflegebedürftigkeit vor dem Antragsmonat einge-treten, setzt die Leistungsgewährung ab Beginn des Antragsmonats ein. Die Monatsfrist er-mittelt sich unter Beachtung von § 26 SGB X i. V. m. §§ 187 bis 193 BGB.

Beispiel 1 (§ 33 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz)

Antrag auf Pflegegeld

28.01.

Feststellung von Pflegebedürftigkeit durch den MD

22.02.

Pflegebedürftigkeit liegt vor seit

07.01.

Ergebnis:

Anspruch auf Pflegegeld besteht ab

28.01.

Beispiel 2 (§ 33 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz)

Antrag auf Pflegegeld

08.01.

Feststellung von Pflegebedürftigkeit durch den MD

16.02.

Pflegebedürftigkeit liegt vor seit

01.02.

Ergebnis:

Anspruch auf Pflegegeld besteht ab

01.02.

Beispiel 3 (§ 33 Abs. 1 Satz 3)

Antrag auf Pflegegeld

28.02.

Feststellung von Pflegebedürftigkeit durch den MD

08.04.

Pflegebedürftigkeit liegt vor seit

14.01.

Ergebnis:

Anspruch auf Pflegegeld besteht ab

01.02.

(2) Wurde der Leistungsantrag bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt, gilt der Antrag nach § 16 Abs. 2 SGB I als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei der unzuständigen Stelle eingegangen ist. Gleiches gilt für Leistungsanträge, die gegenüber dem Pflegeberater nach § 7a SGB XI gestellt wurden (vgl. Ziffer 4 zu § 7a SGB XI).

2.2 Antrag auf Höherstufung

Für den Leistungsbeginn bei einer Höherstufung, die aufgrund einer Beantragung auf Zuerkennung eines höheren Pflegegrads oder einer von Amts wegen veranlassten Nachuntersuchung festgestellt wird, ist § 48 SGB X zu beachten. Dies hat zur Folge, dass die Höherstufung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an erfolgt.

Beispiel 1

Pflegebedürftiger erhält Leistungen nach § 36 SGB XI
nach dem Pflegegrad 2 seit

01.02.

Antrag auf Höherstufung am

17.09.

Begutachtung durch den MD am

23.10.

Pflegebedürftigkeit nach dem Pflegegrad 3 liegt vor seit

01.07.

Ergebnis:

Anspruch auf Leistungen nach dem Pflegegrad 3 besteht ab

01.07.

Beispiel 2

Pflegebedürftiger erhält Leistungen nach § 37 SGB XI
nach dem Pflegegrad 3 seit

01.01.

vollstationäre Krankenhausbehandlung ab

08.11.

Antrag auf Höherstufung am

13.11.

Begutachtung durch den MD am

17.11.

Pflegebedürftigkeit nach dem Pflegegrad 4 liegt vor seit

08.11.

Ergebnis:

Anspruch auf Leistungen nach dem Pflegegrad 4 besteht ab

08.11.

Beispiel 3

Pflegebedürftiger erhält Leistungen nach § 43 SGB XI nach dem Pflegegrad 2 seit

01.02. des Vorjahres

Antrag auf Höherstufung am

05.05.

Begutachtung durch den MD am

28.05.

Pflegebedürftigkeit nach dem Pflegegrad 3 liegt vor seit

01.03.

Ergebnis:

Anspruch auf Leistungen nach dem Pflegegrad 3 besteht ab

01.03.

Hinsichtlich der Konsequenzen für den vollstationären Bereich vergleiche auch Ausführungen zu Ziffer 9 und 10 zu § 43 SGB XI.

3. Befristung des Leistungsbescheides

(1) In begründeten Fällen haben Pflegekassen die Möglichkeit, den Leistungsbescheid über die Zuordnung zu einem Pflegegrad und die Bewilligung von Leistungen zu befristen. Auf diese Möglichkeit, den Leistungsbescheid mit einer Nebenbestimmung zu versehen (vgl. § 32 Abs. 2 Nr. 1 SGB X), wird in § 33 Abs. 1 Sätze 4 ff. SGB XI explizit hingewiesen. Dies ist insbesondere im Kontext mit der Zielsetzung des § 31 Abs. 1 SGB XI zu sehen, wonach in jedem Einzelfall zu prüfen ist, ob und ggf. welche Leistungen zur medizinischen Rehabilitation geeignet und zumutbar sind, um Pflegebedürftigkeit zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Stellt der MD oder der von der Pflegekasse beauftragte Gutachter im Rahmen der Pflegebegutachtung nach § 18 Abs. 6 SGB XI explizit fest, dass insbesondere durch Maßnahmen der Rehabilitation eine Verringerung der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten zu erwarten ist, hat er eine entsprechende Prognose und Empfehlung für eine Wiederholungsbegutachtung abzugeben. Auf dieser Grundlage hat die Pflegekasse darüber zu entscheiden (pflichtgemäßes Ermessen), ob ausreichende Anhaltspunkte für eine Befristung des Leistungsbescheides vorliegen. Die bloße Empfehlung eines Wiederholungstermins ist insoweit nicht ausreichend.

 

Beispiel

Ein Versicherter wird auf Grund eines Motorradunfalls pflegebedürftig (Pflegegrad 2). Die Pflegebedürftigkeit resultiert aus den erheblichen unfallbedingten Bewegungseinschränkungen. Nach den Feststellungen des MD ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Bewegungseinschränkungen mit Hilfe medizinischer Rehabilitationsleistungen innerhalb von 15 Monaten zurückführbar sind, so dass sich der für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit maßgebende Hilfebedarf erheblich verändern wird. Mit dieser Prognose empfiehlt der MD eine Wiederholungsbegutachtung in 15 Monaten.

Ergebnis:

Die Pflegekasse befristet vor diesem Hintergrund den Bescheid über die Anerkennung des Pflegegrades 2.

(2) Die Befristung kann wiederholt ausgesprochen werden, darf insgesamt jedoch den Zeitraum von 3 Jahren nicht überschreiten. Der Versicherte sollte in dem mit einer Befristung versehenen Bescheid darauf hingewiesen werden, dass bei einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse auch während des Befristungszeitraums eine Änderung der bewilligten Leistungen möglich ist.

Die Pflegekasse hat rechtzeitig vor Ablauf der Befristung von Amts wegen tätig zu werden und den weiteren Leistungsanspruch zu prüfen, um eine nahtlose Fortsetzung der Pflegeleistungen sicherzustellen, ohne dass der Pflegebedürftige einen neuen Antrag hierfür stellen muss.

Der explizite Hinweis in § 33 Abs. 1 Sätze 4 ff. SGB XI ist im Kontext der zum 01.07.2008 erweiterten Anforderungen an die Feststellung des Rehabilitationsbedarfs im Rahmen der Pflegebegutachtung zu sehen (vgl. Ziffer 7 zu § 18 SGB XI, Ziffern 1 zu § 31 SGB XI). Vor diesem Hintergrund war nicht beabsichtigt, die Bewilligungspraxis der Pflegekassen rückwirkend zu überprüfen. Von der Regelung sind von daher bis zum 30.06.2008 getroffene Entscheidungen der Pflegekassen ausgenommen.

Für die Dauer der Befristung gelten die Regelungen des § 140 Abs. 2 SGB XI mit der Folge, dass Pflegebedürftige zum 01.01.2017 von einer Pflegestufe in einen Pflegegrad übergeleitet werden. Nach Ablauf der Befristung ist die Pflegebedürftigkeit erneut zu prüfen.

4. Vorversicherungszeit

(1) Bei Versicherten, die einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB XI stellen, ist eine Vorversicherungszeit von zwei Jahren in den letzten 10 Jahren vor Antragstellung nachzuweisen.

Die Vorversicherungszeit ist in entsprechender Anwendung von § 26 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 191 BGB in Jahre, Monate und Tage umzurechnen; hierbei werden Kalendermonate mit 30, Teilmonate mit den tatsächlichen und ein Kalenderjahr stets mit 365 Tagen berücksichtigt.

Beispiel 1

Antrag auf Pflegeleistungen am

01.07.2017

Vorversicherungszeiten

01.01.1999 bis 30.06.2001
01.11.2009 bis fortlaufend

Pflegebedürftigkeit liegt seit Antragstellung vor

Rahmenfrist

30.06.2017bis 01.07.2007 = 10 Jahre

Anzurechnende Vorversicherungszeiten vom

01.11.2009 bis 30.06.2017
= 7 Jahre, 8 Monate

Ergebnis:

 

Vorversicherungszeit von 2 Jahren ist erfüllt

Beispiel 2

Teil 1:

Antrag auf Pflegeleistungen am

01.05.2017

Vorversicherungszeiten

01.04.2008 bis 31.12.2008
01.04.2016 bis fortlaufend

Pflegebedürftigkeit liegt seit Antragstellung vor

Rahmenfrist

30.04.2017 bis 01.05.2007
= 10 Jahre

Anzurechnende Vorversicherungszeiten vom

01.04.2008 bis 31.12.2008.
= 9 Monate
01.4.2016 bis 30.04.2017
= 1 Jahr, 1 Monate

Ergebnis:

 

Die erforderliche Vorversicherungszeit von 2 Jahren ist nicht erfüllt

Teil 2:

erneuter Antrag auf Pflegeleistungen am

01.07.2017

Vorversicherungszeiten

01.04.2008 bis 31.12.2008
01.04.2016 bis fortlaufend

Pflegebedürftigkeit liegt seit Antragstellung vor

Rahmenfrist

30.06.2017 bis 01.07.2007
= 10 Jahre

Anzurechnende Vorversicherungszeiten vom

01.04.2008 bis 31.12.2008
= 9 Monate
01.04.2016 bis 30.06.2017 = 1 Jahr, 3 Monate

Ergebnis:

 

Die erforderliche Vorversicherungszeit von 2 Jahren ist erfüllt.

(2) Als Vorversicherungszeit werden Zeiten der Versicherungspflicht als Mitglied in der sozialen Pflegeversicherung nach den§§ 20, 21 SGB XI sowie Zeiten im Rahmen der Familienversicherung nach § 25 SGB XI berücksichtigt. Für die Beurteilung der Vorversicherungszeit sind in jedem Fall Zeiten einer Unterbrechung bis zu einem Monat – in analoger Anwendung des § 19 SGB V – als unschädlich anzusehen. Insoweit gilt auch hier der Grundsatz "Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung".

Der Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung setzt zwar nach § 33 Abs. 2 Nr. 5 und 6 SGB XI das Erfüllen einer Vorversicherungszeit voraus, so dass auch insoweit einem Leistungsmissbrauch grundsätzlich vorgebeugt wird. Dies greift jedoch nicht, sofern die betroffene Person aus einem EWR-Staat oder aus der Schweiz heraus ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegt, da in diesen Fällen die nach den Rechtsvorschriften des jeweiligen EWR- Staates bzw. der Schweiz zurückgelegten Versicherungszeiten so zu berücksichtigen sind, als ob sie in Deutschland zurückgelegt worden wären.

Zeiten einer freiwilligen Weiterversicherung bei Auslandsaufenthalten nach § 26 Abs. 2 SGB XI werden mitberücksichtigt. Liegt ein bilaterales Abkommen vor, welches keine Gleichstellung in der Pflegeversicherung oder das die Pflegeversicherung an sich nicht kennt, können leistungsrechtlich keine Anrechnungszeiten aus dem Ausland im Leistungsfall berücksichtigt werden.

Für familienversicherte Kinder im Sinne des § 25 SGB XI und für versicherungspflichtige Kinder gemäß § 20 Abs. 3 SGB XI, die die Vorversicherungszeit selbst nicht erfüllen konnten, gilt die Vorversicherungszeit dann als erfüllt, wenn ein Elternteil sie erfüllt (vgl. BSG-Urteil vom 19.04.2007, Az.: B 3 P 1/06 R, Abs. 13). Diese Regelung betrifft insbesondere von Geburt oder frühem Kindesalter an pflegebedürftige Kinder. Ist das Kind in der privaten Pflegeversi-cherung versichert und wird dieser Vertrag gekündigt damit eine Familienversicherung in der sozialen Pflegeversicherung erfolgt, ist die Zeit der bis zum Beginn der Familienvesicherung in der sozialen Pflegeversicherung ununterbrochen in der privaten Pflegeversicherung zurück-gelegten Versicherungszeit auf die Vorvesicherungszeit anzurechnen.

(3) Tritt Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung – z. B. durch die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung oder wegen des Bezugs einer Leistung der Arbeitsförderung (SGB III) – ein, besteht nach § 27 SGB XI die Möglichkeit, einen bestehenden (privaten) Pflegeversicherungsvertrag zu kündigen. Die Zeit der bis zum Beginn der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung ununterbrochen in der privaten Pflegeversicherung zurückgelegten Versicherungszeit wird angerechnet. Nicht angerechnet werden (z. B. vorherige) Versicherungszeiten in der privaten Pflegeversicherung, die nicht bis zum Beginn der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung andauerten. Kündigt ein Versicherter einen bestehenden privaten Pflegeversicherungsvetrag und im Anschluss beginnt eine Familienversicherung in der sozialen Pflegeversicherung ist die Zeit der bis zum Beginn der Familienvesicherung in der sozialen Pflegeversicherung ununterbrochen in der privaten Pflegeversicherung zurückgelegten Versicherungszeit auf die Vorvesicherungszeit anzurechnen.

(4) Hat ein Versicherter bei seiner Antragstellung die geforderte Vorversicherungszeit nicht erfüllt, sollte er darauf hingewiesen werden, zu welchem Zeitpunkt er bei fortlaufender Versicherung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt.

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