(1) Der Leistungsanspruch nach dem SGB XI bestimmt sich danach, ob und ggf. in welchen Pflegegrad der Pflegebedürftige einzustufen ist. Die Einstufung in einen Pflegegrad ist abhängig von der Schwere der Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten. Gesundheitlich beeinträchtigte Menschen, die
sind nicht leistungsberechtigt nach den §§ 36 bis 45b SGB XI; ggf. kann aber ein Leistungsanspruch gegenüber der Sozialhilfe bestehen (vgl. Ziffer 3 Abs. 1 zu § 13 SGB XI).
(2) Eine Höherstufung in einen anderen Pflegegrad ist nur dann möglich, wenn sich das Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder Fähigkeiten auf Dauer erhöht, d. h. voraussichtlich für mindestens sechs Monate – gerechnet ab Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (§ 48 SGB X gilt – vgl. Ziffer 2.2 zu § 33 SGB XI).
(3) Ist ein Pflegebedürftiger des Pflegegrades 3 bis 5 in einen geringeren Pflegegrad (mindestens Pflegegrad 2 ) einzustufen, weil beispielsweise die Pflegebedürftigkeit durch eine Leistung zur Rehabilitation gemindert werden konnte, sind die Leistungen nach den §§ 36 bis 44 SGB XI für die Zukunft zu vermindern (zu dem ggf. bestehenden Anspruch vollstationärer Pflegeeinrichtungen auf Zahlung eines einmaligen Bonusbetrages für erfolgreiche aktivierende oder rehabilitative Maßnahmen vgl. § 87a Abs. 4 SGB XI). Die Vorschriften des SGB X sind zu beachten. Hinsichtlich des Besitzstandsschutzes im Rahmen der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs vgl. Ziffer 3 zu § 140 SGB XI.
Ist ein Pflegebedürftiger des Pflegerades 2 bis 5 in den Pflegegrad 1 einzustufen, besteht lediglich ein Anspruch auf Leistungen nach § 28a SGB XI. Die Leistungszusage für die Leistungen nach §§ 36 bis 44 SGB XI ist für die Zukunft aufzuheben (§ 48 SGB X gilt). Sofern der Pflegebedürftige Leistungen nach den §§ 38a, 40, 43b und 45b SGB XI erhält, besteht der Leistungsanspruch weiterhin. Befindet sich der Pflegebedürftige in einer vollstationären Pflegeeinrichtung wird ein Zuschuss in Höhe von 125,00 EUR gewährt.
Fällt die Pflegebedürftigkeit weg ist die Leistungszusage ebenfalls für die Zukunft aufzuheben (§ 48 SGB X gilt).
(4) Liegen die Voraussetzungen für die Zuordnung zu einem Pflegegrad für mindestens sechs Monate vor und ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich der Hilfebedarf z. B. durch therapeutische oder rehabilitative Maßnahmen pflegegradrelevant verringert, kann auf Empfehlung des MDK oder des von der Pflegekasse beauftragten Gutachters die Zuordnung zum Pflegegrad befristet werden (vgl. Ziffer 3 zu § 33 SGB XI).
Der Pflegegrad orientiert sich an der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten. Insgesamt gibt es fünf Pflegegrade:
Die Ermittlung des Pflegegrades erfolgt mit Hilfe eines Begutachtungsinstruments (vgl. Begutachtungs-Richtlinien). Dieses ist in sechs Module gegliedert, die den sechs Bereichen
in § 14 Abs. 2 SGB XI entsprechen. Zusätzlich umfasst es die Bereiche Außerhäusliche Aktivitäten und Haushaltsführung. Diese werden zwar festgestellt, sie gehen jedoch nicht in die Ermittlung des Pflegegrades mit ein. In den einzelnen Kriterien der Module 1 bis 6 wird die Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten bewertet und für jedes erhobene Kriterium je nach Schweregrad der Beeinträchtigungen Einzelpunkte vergeben. Zudem werden die Module im Verhältnis zueinander gewichtet, um körperliche, kognitive und psychische Beeinträchtigungen anhand eines übergreifenden Maßstabs, der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, in ein Verhältnis zu stellen, das die verschiedenen Arten von Beeinträchtigungen angemessen berücksichtigt. Aus dem so ermittelten Gesamtpunktwert wird der Pflegegrad abgeleitet.
Die Konkretisierung der Kategorien der Module, der jeweiligen Einzelpunkte, Summe der Einzelpunkte und gewichteten Punkte in jedem Modul ist in den Anlagen 1 und 2 zu § 15 SGB XI festgelegt.
Zunächst werden in den Modulen 1 bis 6 für jedes Kriterium der Bereiche des § 14 Abs. 2 SGB XI die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten erhoben. Mit Ausnahme von Modul 5 ist für die Bewertung der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit und der Fähigkeiten eine Skalierung von vier Schweregraden vorgesehen. Je nach Ausprägung des Kriteriums wird eine entsprechende Punktzahl vergeben.
In den Modulen 1, 4 und 6 wird der Grad der Selbständigkeit des Antragstellers anhand einer vierstufigen Skala von selbständig, überwiegend selbständig, überwiegend unselbständig bis unselbständig zugeordnet.
selbständig: Selbständig ist ein Antragsteller, wenn er die Aktivität in der Regel selbständig durchführen kann. Möglicherweise ist die Durchführung erschwert oder verlangsamt oder nur unter Nutzung von Hilfsmitteln möglich. Entscheidend ist jedoch, dass der Antragsteller keine personelle Hilfe benötigt. Vorübergehende oder nur vereinzelt auftretende Beeinträchtigungen sind nicht zu berücksichtigen.
überwiegend selbständig: Überwiegende Selbständigkeit liegt vor, wenn der Antragsteller den größten Teil der Aktivität selbständig durchführen kann. Dementsprechend entsteht nur ein geringer, mäßiger Aufwand für die Pflegeperson.
überwiegend unselbständig: Überwiegende Unselbständigkeit des Antragstellers liegt vor, wenn die Aktivität nur zu einem geringen Anteil selbständig durchgeführt werden kann. Es sind aber Ressourcen vorhanden, so dass eine Beteiligung möglich ist. Dies setzt ggf. ständige Anleitung oder aufwändige Motivation auch während der Aktivität voraus oder Teilschritte der Handlung müssen übernommen werden. Zurechtlegen und Richten von Gegenständen, wiederholte Aufforderungen oder punktuelle Unterstützungen reichen nicht aus.
Unselbständig: Unselbständigkeit liegt vor, wenn der Antragsteller die Aktivität in der Regel nicht selbständig durchführen bzw. steuern kann, auch nicht in Teilen. Es sind kaum oder keine Ressourcen vorhanden. Ständige Motivation, Anleitung und Beaufsichtigung reichen auf keinen Fall aus. Die Pflegeperson muss alle oder nahezu alle Teilhandlungen anstelle des Antragstellers durchführen. Eine minimale Beteiligung ist nicht zu berücksichtigen (z. B wenn sich der Antragsteller im sehr geringen Umfang mit Teilhandlungen beteiligt).
Im Modul 2 wird die Intensität einer funktionalen Beeinträchtigung bezüglich kognitiver und kommunikativer Fähigkeiten einer vierstufigen Skala zugeordnet:
Fähigkeit vorhanden bzw. unbeeinträchtigt: Die Fähigkeit ist (nahezu) vollständig vorhanden
Fähigkeit größtenteils vorhanden: Die Fähigkeit ist überwiegend (die meiste Zeit über, in den meisten Situationen), aber nicht durchgängig vorhanden. Der Antragsteller hat Schwierigkeiten, höhere oder komplexere Anforderungen zu bewältigen.
Fähigkeit in geringem Maße vorhanden: Die Fähigkeit ist stark beeinträchtigt, aber erkennbar vorhanden. Der Antragsteller hat häufig und/oder in vielen Situationen Schwierigkeiten. Sie kann nur geringe Anforderungen bewältigen. Es sind Ressourcen vorhanden.
Fähigkeit nicht vorhanden: Die Fähigkeit ist nicht oder nur in sehr geringem Maße (sehr selten) vorhanden.
Im Modul 3 wird die Häufigkeit des Auftretens bezüglich der Verhaltensweisen einer vierstufigen Skala zugeordnet:
Im Modul 5 werden verschiedene Kategorien bewertet, also das Vorkommen, die Häufigkeit des Auftretens und die Selbständigkeit des Antragstellers bei der Durchführung.
Die Einzelpunkte der jeweiligen Kategorien eines Moduls sind in Anlage 1 zu § 15 SGB XI festgesetzt. Die so ermittelten Einzelpunkte werden zu einem Gesamtwert aufsummiert. Dieser Gesamtwert wird je nach Schwere der Beeinträchtigungen einem gewichteten Punktwert zugeordnet, der das Ausmaß der Beeinträchtigung der Selbständigkeit des jeweiligen Moduls widerspiegelt. Der gewichtete Punktwert ist in Anlage 2 zu § 15 SGB XI festgesetzt. Die Module werden wie folgt gewichtet:
Aus der Zusammenführung aller gewichteten modulspezifischen Punkte ergibt sich der Gesamtpunktwert, der das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit bestimmt und auf dessen Grundlage sich der Pflegegrad ableitet. Eine Besonderheit besteht darin, dass nicht beide Werte der Module 2 und 3, sondern nur der höchste der beiden Werte in die Berechnung eingeht.
Auf der Basis des ermittelten Gesamtpunkts ist der Antragsteller in einen der Pflegegrade einzuordnen. Pflegebedürftigkeit liegt vor, wenn der Gesamtpunktwert mindestens 12,5 Punkte beträgt. Der Grad der Pflegebedürftigkeit bestimmt sich wie folgt:
Pflegebedürftige mit besonderen Bedarfskonstellationen aufgrund der Gebrauchsunfähigkeit beider Arme und Beine werden unabhängig vom Erreichen des Schwellenwertes von 90 Punkten dem Pflegegrad 5 zugeordnet.
Für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit bei Kindern gelten grundsätzlich die Prinzipien der Erwachsenenbegutachtung. Jedoch sind pflegebedürftige Kinder zur Feststellung des Hilfebedarfs mit einem gesunden Kind gleichen Alters zu vergleichen. Maßgebend für die Beurteilung eines Hilfebedarfs ist nicht die altersbedingte Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, sondern solche, die darüber hinausgehen. Im Übrigen gelten für die Feststellung und Ermittlung des Pflegerades bei Kindern grundsätzlich die Prinzipien des Begutachtungsinstruments. Jedoch findet für Kinder bis zur Vollendung des 11. Lebensjahres eine andere Punktesystematik Anwendung. Diese ist den Begutachtungs-Richtlinien zu entnehmen. Ab dem 12. Lebensjahr gilt die Punktsystematik für Erwachsene.
Bei Kindern bis zum vollendeten 18. Lebensmonat werden aufgrund ihrer noch natürlichen Unselbständigkeit nur die altersunabhängigen Module 3 „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“ und Modul 5 „Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen“ zur Beurteilung herangezogen. An Stelle von Modul 4 „Selbstversorgung“ ist die Frage zu beantworten, ob gravierende Probleme bei der Nahrungsaufnahme, die einen außergewöhnlichen pflegeintensiven Hilfebedarf im Bereich der Ernährung auslösen, bestehen. Kinder dieser Altersgruppe werden außerdem pauschal einen Pflegegrad höher eingestuft als Kinder nach dem 18. Lebensmonat und als Erwachsene:
Kinder dieser Altersgruppe können in diesem Pflegegrad ohne weitere Begutachtung bis zum vollendeten 18. Lebensmonat verbleiben, soweit zwischenzeitlich kein Höherstufungsantrag gestellt wird oder eine Wiederholungsbegutachtung aus fachlicher Sicht notwendig ist. Nach dem 18. Lebensmonat erfolgt eine reguläre Einstufung entsprechend § 15 Abs. 3 SGB XI, ohne dass es einer erneuten Begutachtung bedarf. Eine erneute Begutachtung erfolgt daher nur, wenn relevante Änderungen zu erwarten sind (z. B. durch eine erfolgreiche Operation einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte oder eines angeborenen Herzfehlers).
Das Kriterium hinsichtlich des Vorliegens einer besonderen Bedarfskonstellation der Gebrauchsunfähigkeit beider Arme und beider Beine ist altersunabhängig immer zu bewerten.