(1) Pflegebedürftig i. S. d. SGB XI sind Personen, die aufgrund von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten nach Maßgabe der im Gesetz abschließend definierten Kriterien in den sechs Bereichen des § 14 Abs. 2 SGB XI der Hilfe anderer bedürfen. Der Hilfebedarf muss auf den in den Kriterien beschriebenen, gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten beruhen; andere Ursachen für einen Hilfebedarf bleiben außer Betracht. Die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten werden personenbezogen und unabhängig vom jeweiligen (Wohn-)Umfeld ermittelt. Dabei sind nur solche Personen pflegebedürftig, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen sowie gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten und der Hilfebedarf durch andere müssen zumindest in der in § 15 SGB XI festgelegten Schwere und auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, bestehen. Liegt der erforderliche Hilfebedarf nur kurzzeitig oder unterhalb der Schwelle der geringen Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten nach § 15 Abs. 2 Satz 6 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 bzw. bei Kindern im Alter bis 18 Monaten nach § 15 Abs. 7 Nr. 1 SGB XI vor, ist dieser nicht von der Solidargemeinschaft der Pflegeversicherten zu finanzieren. Für diesen Hilfebedarf kann und soll der Einzelne – entsprechend dem Grundsatz der Subsidiarität solidarischer Hilfen gegenüber der Eigenverantwortung – selbst einstehen.
(2) Hinsichtlich der Eigenbeteiligungen besteht evtl. ein Anspruch auf die fürsorgerischen Leistungen der Hilfe zur Pflege (SGB XII) bzw. ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem 2. Teil des SGB IX bzw. SGB VIII (vgl. Ziffer 3 Abs. 1 zu § 13 SGB XI).
(1) Der Leistungsanspruch nach dem SGB XI setzt eine auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, bestehende Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten des Antragstellers mit daraus resultierendem Bedarf an Hilfe durch andere voraus. Der Einschub "voraussichtlich für mindestens sechs Monate" präzisiert den Begriff "auf Dauer" in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wird festgelegt, dass nur Zeiträume von mindestens sechs Monaten die Voraussetzung "auf Dauer" erfüllen. Zum anderen wird verdeutlicht, dass bereits vor Ablauf von sechs Monaten eine Entscheidung über das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit getroffen werden kann, wenn vorhersehbar ist, dass der Zustand der Beeinträchtigung mindestens sechs Monate andauern wird. Pflegebedürftigkeit auf Dauer ist auch gegeben, wenn die Beeinträchtigung der Selbständigkeit nur deshalb nicht über sechs Monate hinausgeht, weil die zu erwartende Lebensspanne voraussichtlich weniger als sechs Monate beträgt.
(2) Bei der Bestimmung des Sechs-Monats-Zeitraums ist vom Eintritt der Beeinträchtigung und nicht vom Zeitpunkt der Begutachtung auszugehen.
(3) Liegen die Voraussetzungen für die Zuordnung zu einem Pflegegrad für mindestens sechs Monate vor und ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich die gesundheitliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder Fähigkeiten des Antragstellers, z. B. durch therapeutische oder rehabilitative Maßnahmen, pflegegradrelevant verringert, kann die Zuordnung zu einem Pflegegrad auf Empfehlung des MDK oder des von der Pflegekasse beauftragten Gutachters für die Dauer der wahrscheinlichen Pflegebedürftigkeit befristet werden (vgl. Ziffer 3 zu § 33 SGB XI).
Maßgeblich für das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit sind gesundheitliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten in den in § 14 Abs. 2 SGB XI genannten sechs Bereichen. Diese Bereiche umfassen jeweils eine Gruppe artverwandter Kriterien oder einen Lebensbereich. Sie stellen einen abschließenden Katalog der zu berücksichtigenden Kriterien dar, anhand derer Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten festgestellt werden sollen. Die einzelnen Kriterien werden im Rahmen der Begutachtungs-Richtlinien nach § 17 SGB XI in der Fassung ab dem 01.01.2017 durch den GKV-Spitzenverband pflegefachlich konkretisiert. Insbesondere sind in den Begutachtungs-Richtlinien die fachlichen Hintergrün-de und Inhalte der Kriterien hinterlegt, an die die Gutachter des MDK und die von der Pflege-kasse beauftragten Gutachter bei der Begutachtung bundesweit gebunden sind. Es handelt sich um die nachfolgenden sechs Bereiche:
Bereich 1: Mobilität
Maßgeblich ist, ob der Antragsteller in der Lage ist, ohne personelle Unterstützung eine Körperhaltung einzunehmen/ zu wechseln und sich fortzubewegen. Es werden lediglich Aspekte wie Körperkraft, Balance, Bewegungskoordination etc. beurteilt und nicht die zielgerichtete Fortbewegung. Es werden nicht die Folgen kognitiver Beeinträchtigungen berücksichtigt. Der Bereich beinhaltet die folgenden Kriterien:
Bereich 2: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
In diesem Bereich werden ausschließlich kognitive und kommunikative Fähigkeiten und Aktivitäten betrachtet. Maßgeblich sind Aspekte des Erkennens, Entscheidens oder des Steuerns von Aktivitäten und nicht deren motorische Umsetzung. Es ist unerheblich, ob ein zuvor selbständiger Erwachsener eine Fähigkeit verloren hat oder nie ausgebildet hat. Der Bereich beinhaltet die folgenden Kriterien:
Bereich 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
In diesem Bereich werden Verhaltensweisen und psychische Problemlagen als Folge von Gesundheitsproblemen betrachtet, die immer wieder auftreten und personelle Unterstützung erforderlich machen. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit der Antragsteller sein Verhalten ohne personelle Unterstützung steuern kann. Von fehlender „Selbststeuerung“ ist auch dann auszugehen, wenn ein Verhalten zwar nach Aufforderung abgestellt wird, aber danach immer wieder aufs Neue auftritt, weil das Verbot nicht verstanden wird oder die Person sich nicht erinnern kann.
Bereich 4: Selbstversorgung
In diesem Bereich ist maßgeblich, ob die Aktivitäten in den nachfolgend genannten Kriterien praktisch durchgeführt werden können. Es ist unerheblich, ob die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit aufgrund von Schädigungen somatischer oder mentaler Funktionen bestehen. Die Kriterien sind wie folgt:
Bereich 5: Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
In diesem Bereich geht es um die Durchführung ärztlich verordneter Maßnahmen, die gezielt auf eine bestehende Erkrankung ausgerichtet und für voraussichtlich mindestens sechs Monate erforderlich sind. Maßgeblich ist, ob der Antragsteller die jeweilige Aktivität praktisch durchführen kann. Es ist unerheblich, ob die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit aufgrund von Schädigungen somatischer oder mentaler Funktionen bestehen. Ist dies nicht der Fall, wird die Häufigkeit der Hilfe durch andere Personen dokumentiert (oftmals identisch mit der ärztlich angeordneten Häufigkeit).
Bereich 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Maßgeblich ist, ob der Antragsteller die Aktivität in den nachfolgend genannten Kriterien praktisch durchführen kann. Es ist unerheblich, ob die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit aufgrund von Schädigungen somatischer oder mentaler Funktionen bestehen. Die Kriterien im Einzelnen sind wie folgt:
Besondere Bedarfskonstellation
Zusätzlich wird erfasst, ob eine besondere Bedarfskonstellation vorliegt. Besondere Bedarfskonstellationen betreffen Antragsteller mit schwersten Beeinträchtigungen und einem außergewöhnlich hohen bzw. intensiven Hilfebedarf, der besondere Anforderungen an die pflegerische Versorgung aufweist. Das Vorliegen einer besonderen Bedarfskonstellation wird in den Begutachtungs-Richtlinien definiert (vgl. Ziffer 2 zu § 15 SGB XI). Hier wird das Kriterium Gebrauchsunfähigkeit beider Arme und Beine berücksichtigt.
Die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeiten, die dazu führen, dass der Antragsteller die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigen kann, wird bereits in den in § 14 Abs. 2 SGB XI genannten sechs Bereichen erfasst. Damit sind die entsprechenden Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeiten für die Beurteilung des Grades der Pflegebedürftigkeit relevant, werden aber über andere Bereiche erhoben. So führt beispielsweise eine Beeinträchtigung der Mobilität in aller Regel auch dazu, dass das selbständige Einkaufen erschwert ist. Zur Vermeidung einer doppelten Berücksichtigung werden die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeiten bei der Haushaltsführung in zwei Bereichen (Außerhäusliche Aktivitäten und Haushaltsführung) gesondert erhoben (vgl. auch § 18 Abs. 5a SGB XI). Sie werden jedoch nicht zur Ermittlung des Pflegegrades herangezogen. Gleichwohl sind die erhobenen Kriterien bei der Haushaltsführung von großer Bedeutung für die Bewältigung der Pflegesituation und die Verbesserung der häuslichen Versorgung. Sie dienen damit einerseits als Grundlage für eine differenzierte und individuelle Versorgungsplanung und andererseits als Anhaltspunkte für den Leistungsumfang der Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 36 SGB XI.
Bereich 7: Außerhäusliche Aktivitäten
Maßgeblich ist, ob der Antragsteller die Aktivität in den nachfolgend genannten Kriterien praktisch durchführen kann. Es ist unerheblich, ob die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit aufgrund von Schädigungen somatischer oder mentaler Funktionen bestehen. Es handelt sich um folgende Kriterien:
Bereich 8: Haushaltsführung
Maßgeblich ist, ob der Antragsteller die Aktivität in den nachfolgend genannten Kriterien praktisch durchführen kann. Es ist unerheblich, ob die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit aufgrund von Schädigungen somatischer oder mentaler Funktionen bestehen.